Ausgabe 2/2021 – Kunsthalle Münster – Sensing Scale
Sensing Scale beleuchtet Datenströme
Kunsthalle Münster
Emma Charles. Fragments. 2013
Bahar Noorizaedeh. After Scarcity. 2018
Unsere Welt wird beherrscht von kaum zu überblickenden Netzwerken, Daten- und Logistikströmen. Technologische Megastrukturen beeinflussen unser Leben, Denken und Handeln, unsere Wahrnehmung und visuelle Kultur. Wie kann es Kunst gelingen, diese höchst komplizierten, verzweigten Prozesse darzustellen und zu befragen? Dieser Frage geht die Gruppenausstellung „Sensing Scale“ in der Kunsthalle Münster nach. Es sind vor allem die komplex verkabelten und verschalteten Systeme, die Tekla Aslanishvili, Pedro Barateiro, Emma Charles, Geocinema (Asia Bazdyrieva und Solveig Suess), Bahar Noorizadeh und Wolfgang Tillmans in ihren Werken, es handelt sich um fünf Filme und eine Audioarbeit, in den Blick nehmen. Aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten sie das Ausmaß dieser Systeme, blicken hinter die Netzwerke, verfolgen deren unter- und über-irdischen Verlauf und machen die verborgenen Infrastrukturen des digitalen Alltags sichtbar – in stetem Bewusstsein, dass die entworfenen Bilder und Vorstellungen alles andere als vollständig sind.
In ihrem Film Algorithmic Island (2020) untersucht Tekla Aslanishvili den vorerst gescheiterten Versuch, einen georgischen Ferienort am Schwarzen Meer zu einer Smart City auszubauen. Dafür sucht sie das überdimensionierte Gebilde aus Architektur, Standortfaktor und politischer Vision dort auf, wo es seit Anfang 2017 sichtbar geworden ist. Pedro Barateiro nimmt in seinem Film The Opening Monologue (2018) die sozialmediale Bilderwelt und ihre teils düsteren, teils glitschigen Zukunftsverheißungen in den Blick, die gegenwärtig auf uns einprasseln. Ergänzt wird die Arbeit durch Zeichnungen und eine Installation des Künstlers. Die formal strenge Ortserkundung in Emma Charles‘ Film Fragments on Machines (2013) ist mit Karl Marx der Frage gewidmet, inwiefern Wertesysteme von Produktivität und Arbeitskraft durch den technologischen Fortschritt geprägt sind. Es ist bezeichnend, dass sich heute hinter der Fassade eines Art-Deco-Industriebaus unweit der Wall Street ein Knotenpunkt für das Internet verbirgt. Wolfgang Tillmans beschreibt in seiner Audioarbeit I want to make a film (2018) in einem ebenso ernsten wie amüsanten Ton ein fiktives Filmprojekt über die Digitalisierung mitsamt ihrer extremen Größenordnung: Von Miniaturisierung von Computerhardware über exponentielle Zunahme an Daten bis hin zur weltumspannenden Verkabelung. Tillmans ist fasziniert von der Leistungsfähigkeit der kleinen Smartphones, die sämtliche Funktionen des digitalen Lebens übernommen und die Fotografie zum alltäglichen Kommunikationsmedium gemacht haben. Bahar Noorizadehs After Scarcity (2018) ist ein Science-Fiction-Film über Big Data-Szenarien, der einem sowjetischen Kybernetiker und seinem damaligen Versuch folgt, eine vollautomatisierte Planwirtschaft zu programmieren. Noorizadeh spekuliert darüber, wie Infrastrukturen für Produktion durch Tech-Industrien und deren Regime modelliert werden können. Als eine weit verteilte Super-Kamera, die Terabytes an (Roh-)Daten erzeugt, betrachten Geocinema (Asia Bazdyrieva und Solveig Suess) im Orbit stationierte Satelliten. Für The Making of Earths (2020) haben sie sich der post-ikonischen Bildproduktion in asiatischen Bodenstationen und den dazugehörigen Radioteleskopen und Angestellten zugewandt.
Sensing Scale
30.05.21–12.09.21
Kunsthalle Münster
Hafenweg 28
48155 Münster
Tel. 0251-6744675
Di–So 12–18 Uhr
www.kunsthallemuenster.de