Maria D. Rapicavoli – The Other: A Familiar Story
Westfälischer Kunstverein
Maria D. Rapicavoli. „The Other – a familiar story“. Ausstellungsansichten Westfälischer Kunstverein 2021. Fotos: Thorsten Arendt
Maria D. Rapicavoli. Ausschnitte aus dem Film „The Other – a familiar story“ (2020)
AUSGABE 3/2021 – Autorin: Birgit Schlepütz
Es gibt Ereignisse, die zu einer mündlich überlieferten Familienerzählung werden, deren Protagonisten schon lange niemand mehr kennt. Geschichten, die über Generationen erzählt werden und sich zu einer Art familiärer Meta-Erinnerung verfestigen. Eine solche Geschichte existiert auch in der Familie der in Sizilien geborenen Künstlerin Maria D. Rapicavoli. Sie handelt von einer Frau namens Mena, die ihrem Ehemann zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Massachusetts in die Vereinigten Staaten folgen muss. Rapicavoli verdichtet diese Geschichte nun zu einer überindividuellen Videoarbeit über Migration in einer patriarchalisch organisierten Gesellschaft.
Die Videoarbeit von Maria D. Rapicavoli verfolgt die äußeren Umstände und die innere Verfassung einer Frau, die ihre Heimat nicht verlassen wollte und nie wieder dorthin zurückkehrte. Die sich in der Einsamkeit ihres neuen Lebens den körperlichen und mentalen Zwängen eines Mannes und einer Gesellschaft ausgesetzt sah, die pars pro toto für die Zeit und die italienische Migration stehen. Immer wieder stellt die Künstlerin in ihren Arbeiten persönliche Schicksale mit größeren politischen, historischen oder ökonomischen Zusammenhängen in Verbindung. Ausgangspunkt dieser Arbeit waren die Erzählungen von Rapicavolis Großmutter und Mutter. Die Aufnahmen führten die Künstlerin, die mittlerweile in New York lebt, zu Originalschauplätzen auf Sizilien und in Massachusetts. Mit poetischen Bildern und verdichteten Zitaten nimmt die Protagonistin Mena die Besucher mit in die soziale Ungleichheit, in ihre Armut, ihre beklemmte Wohnsituation und ihren abhängigen Ehe-Alltag. Mit einem Streifzug durch die vulkanische Aschelandschaft des Ätna zeichnet Maria D. Rapicavoli eindringliche Bilder innerer Ödnis, mit dem Requisit eines Bettgestells veranschaulicht sie die Verklemmtheit ehelicher Pflichten. Sie referiert damit auch generell auf die Konstruktion von der Frau als der „Anderen“, wie Simone de Beauvoir sie in ihrer Schrift „Das andere Geschlecht“ entwickelt hat: als minderwertig und von einem Mann abhängig.
Maria D. Rapicavoli
The Other: A Familiar story
01.05.21–08.08.21
Westfälischer Kunstverein
Rothenburg 30
48143 Münster
Tel. 0251-46157
Di–So 11–19 Uhr
www.westfaelischer-kunstverein.de