Es sind schwarz-weiße Fotoschätze, die Annelise Kretschmer mit ihrem so eigenwilligen wie eigenständigen Blick auf Menschen und Orte geschaffen hat. Die geborene Dortmunderin (1903–1987) zählt zu den bedeutendsten deutschen Fotografinnen und behauptet sich in einer Zeit als Künstlerin, als Männer noch unangefochten das Kulturleben dominieren. Berührend und unabhängig von Klischees, zeigen ihre Porträts Kunstschaffende, Industrielle, Arbeitende, Kinder. Immer will sie ihr Gegenüber in einem Moment erfassen, der die Persönlichkeit offenlegt, und stellt mit der ihr eigenen Einfühlsamkeit und Ästhetik einen direkten Kontakt zwischen Publikum und Abbild her. Annelise Kretschmer ist bekannt für ihre besonderen Porträts, doch sie fotografiert auch Häuser, Straßen, Menschen, hält Reiseeindrücke fest und konzentriert sich dabei immer wieder auf scheinbar nebensächliche Dinge, auf Strukturen, auf Lichtspiele. Ihr umfangreiches OEuvre deckt ein breites Spektrum an Motiven und Themen ab – kaum ein Lebensbereich bleibt ausgespart. Eine Ausstellung im Museum für Kunst und Kulturgeschichte Dortmund wirft ab 26. Januar 2024 ein Streiflicht auf das Lebenswerk der unkonventionellen, international renommierten Fotografin im Kontext der Dortmunder Kunstszene, aber auch im Umfeld ihrer Reisen nach Nordafrika, Paris, in die Bretagne und nach Capri.
Die Tochter eines jüdischen Geschäftsmannes erhält bereits in der Zeit der Weimarer Republik viel Anerkennung für ihre Arbeiten. In Dortmund eröffnet sie 1929 als eine der ersten Frauen in Deutschland ein Fotoatelier, das zu einer wichtigen Anlaufstelle für die dortige Kulturszene wird. Ihre Heimatstadt ist auch ein beliebtes Motiv ihrer Fotografien. Annelise Kretschmers Arbeiten werden bei allen wichtigen und internationalen Fotoausstellungen in Berlin, München, Wien oder Paris gezeigt, und sie ist Mitglied in der deutschen Gesellschaft für Lichtbilder (GDL). Ihre einfühlsamen Fotografien sind gefragt, werden in Fachjournalen und illustrierten Zeitschriften veröffentlicht. Mit der Ermächtigung der nationalsozialistischen Herrschaft 1933 ist Annelise Kretschmer wegen der jüdischen Herkunft ihres Vaters Anfeindungen ausgesetzt, und ihre Karriere endet abrupt. Mit ihrem Mann, dem Bildhauer Sigmund Kretschmer, und den vier Kindern lebt sie vorübergehend im Künstlerdorf Worpswede. Nach dem Krieg eröffnet sie wieder ein eigenes Fotostudio in Dortmund und arbeitet dort gemeinsam mit ihrer Tochter Christiane. Ihr rund 60 Jahre umfassendes Lebenswerk wird erst 1982 erstmals öffentlich gewürdigt – mit einer großen Ausstellung im Museum Folkwang Essen, der weitere folgen. Vor kurzem hat das Museum für Kunst und Kultur Münster den umfangreichen Nachlass der Fotografin erworben. „Kosmos des Lebens“ ist vom LWL-Museumsamt organisiert und kuratiert worden, das Museums für Kunst und Kulturgeschichte Dortmund ist die erste Station der Wanderausstellung.